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Teil 1: Fallstricke und Probleme des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM)

Neuerliches bEM nach jeweils 6-wöchiger Arbeitsunfähigkeit

„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber […], wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen der Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann“ (§ 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX, sog. bEM-Verfahren).
Streiten Arbeitgebende und Arbeitnehmende vor dem Arbeitsgericht über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, so ist Gegenstand der Auseinandersetzung häufig die Frage, ob ein bEM ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG wird durch die Durchführung eines bEM die obligatorische Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer krankheitsbedingten Kündigung konkretisiert.

Dabei stellen die Worte „innerhalb eines Jahres“ einen besonderen Fallstrick für die Arbeitgebenden dar. Ist ein bEM bereits abgeschlossen, die arbeitnehmende Person aber erneut durchgehend oder wiederholt länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, so stellt sich die Frage, ob (auch) innerhalb eines Jahres erneut ein bEM angeboten werden muss.

Kernaussage des BAG

„Der Arbeitgeber hat gem. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach dem Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.“ (BAG, Urteil vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21).

Die Parteien stritten in diesem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung. Der Arbeitnehmer war im Jahr 2017 an 40 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahr 2018 an 61 und im Jahr 2019 an 103 Arbeitstagen.
Auf Einladung der Arbeitgeberin führten die Parteien im März 2019 ein bEM-Gespräch. Der Arbeitnehmer war danach bis zur Kündigung erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis im Februar 2020 ordentlich personenbedingt. Dagegen hat der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat unter anderem geltend gemacht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.
Die Arbeitgeberin war der Ansicht, die Kündigung sei aus Gründen in der Person sozial gerechtfertigt. Ein erneutes bEM habe sie vor dem Kündigungsausspruch nicht durchführen müssen.

Das ArbG Düsseldorf hat der Klage des Arbeitnehmers stattgegeben. Das LAG Düsseldorf hat die dagegen gerichtete Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Auch das BAG entschied letztendlich zu Gunsten des Arbeitnehmers.

Das BAG führte in seiner Entscheidung aus:

Die Kündigung war unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG.

Die Arbeitgeberin hat nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden.

Eine auf Gründen in der Person des Arbeitnehmers gestützte Kündigung ist unverhältnismäßig, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist.

Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen – dem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein.

Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung darlegungs- und beweisbelastet ist, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit.

Denn, so das BAG weiter, war der Arbeitgeber gem. § 167 Abs. 2 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

Der Arbeitgeber hat gem. § 167 Abs. 2 SGB IX grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.

Jedenfalls aus dem Sinn und Zweck des bEM, durch eine geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft zu sichern, ergebe sich nach Ansicht des BAG, dass grundsätzlich eine Pflicht der Arbeitgebenden zur Durchführung eines bEM begründet sei, sobald innerhalb eines Zeitraums von maximal einem Jahr sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten sind.

Fazit

Grundsätzlich sollte, wenn erneute Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als 6 Wochen (ununterbrochen oder wiederholt und auch innerhalb eines Jahres) vorliegen, die Durchführung eines bEM angeboten werden.

Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern.

Dem Sinn und Zweck des bEM widerspräche es, in das Gesetz ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr eines bereits durchgeführten bEM hineinzulesen. Erkrankt die arbeitnehmende Person nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, ist vielmehr grundsätzlich erneut ein Bedürfnis für die Durchführung eines bEM gegeben.

Im vorhergegangenen bEM können nur Erkrankungen berücksichtigt worden sein, die für die bis zu seinem Abschluss aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten ursächlich waren, ebenso wie nur die bis dahin maßgeblichen betrieblichen Abläufe und Verhältnisse. Sowohl die Krankheitsursachen, etwaige Heilverfahren als auch die betrieblichen Umstände können sich danach geändert haben. Ob das der Fall ist und ob sich daraus ein neuer Ansatz für Präventionsmaßnahmen ergibt, kann grundsätzlich nur in einem neuerlichen bEM geklärt werden.

Hat die arbeitnehmende Person in der Vergangenheit ein bEM abgelehnt, entbindet auch diese Ablehnung die arbeitgebende Person nicht von einem erneuten Angebot. Die in der Vergangenheit ablehnende Haltung der angestellten Person kann sich allein durch die zusätzlich aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten geändert haben. Eine Nachfrage der arbeitgebenden Person, ob sich etwas an der Bereitschaft zur Durchführung eines bEM geändert hat, ist der arbeitgebenden Person grundsätzlich zuzumuten.

Kommen während eines noch laufenden bEM weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen hinzu, verlangen Sinn und Zweck des bEM allerdings nicht die Durchführung eines parallelen zusätzlichen bEM. Es ist dann ausreichend, dass mögliche Veränderungen in den Krankheitsursachen oder betrieblichen Verhältnissen in das laufende bEM einbezogen werden. Ein weiteres bEM kann nur dann erforderlich werden, wenn ein vorheriges bereits abgeschlossen war.

Um Fehler schon bei der Einladung zu vermeiden, wenden Sie sich gerne an die AWV-Geschäftsstelle.

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